Dienstag, 13. November 2007
Die Schönheit des Schwermuts
Was bleibt ist ein Gefühl von Melancholie und Ehrfurcht. Der Schmerz besteht für diese Zeit nicht mehr als unerträglicher Dolch in den Eingeweiden sondern als winzige Nadel im Kopf, die nun ein unverzichtbarer Bestandteil dieses schwermütigen, göttlichen Zustandes ist und er wird akzeptiert in seiner eigenen unbeschreiblichen Schönheit. In diesen Momenten bin ich der Welt und dem Leben nahe. In diesen Momenten bin ich selber schön und rein und stark und unschuldig. Das Leid ist nicht mehr an mir wie eine entstellende Narbe, nicht mehr als verbitterte Hässlichkeit sonder als vollkommender Zug meiner selbst, als Adel des Leides.

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Samstag, 3. November 2007
Alexa heißt erleben
Es lag eine Spannung in der Luft. Schon eine Woche vor dem 12. September konnte ich es fühlen. Meine Aufregung war mir regelrecht anzusehen und sie steigerte sich im Laufe jener Woche noch erheblich. Es lag etwas in der Luft, etwas Unbestimmtes, schwer zu beschreibendes. Vielleicht so ähnlich wie man sich als kleines Kind immer vor Weihnachten gefühlt hat oder so wie die Empfindung vor dem ersten Rendevouz.
Die bevorstehende Alexaeröffnung erfüllte mich mit kribbelnder Vorfreude. Jener in meinem Kalender rot markierte Tag versprach etwas besonderes zu werden, ein Tag von dem man seinen Kindern erzählt.
Alexa. Schon der Name strahlte einen unbändig jungen, ja fast künstlerischen Scharm aus.
Und dann erst der Werbeslogan, der einem unvergesslich von den Plakatwänden entgegenstrahlte: „Alexa ist erleben“ Bereits beim ersten mal lesen, war ich überzeugt, Alexa würde mehr als nur ein Einkaufszentrum werden.
Und der Tag kam, an dem die heiligen Hallen sich öffnen sollten. Jenes gelobte Land. Jener Wallfahrtsort des Konsums. Jenes 5geschossige Monstrum, mit 54.000m² Verkaufsfläche, mit 180 einzigartigen Geschäften, einer Fressmeile mit 17 gastronomischen Exklusivitäten und 1600 Parkplätze in der mehrgeschossigen Tiefgarage. Nicht zu vergessen, auch das obligatorische Fitnesscenter, um den angefressenen Speck gleich wieder abzutrainieren und, um das Familienvergnügen perfekt zu machen, auch noch ein Kinderparadies.
Natürlich war ich einer der ersten von 5000 Menschen, die sich schon in der Nacht vor der eigentlichen Eröffnung vor dem Alexa versammelt hatten, um im früheröffneten Media Markt schoppen zu gehen.
Während ich mir die Nase an den imposanten Glastüren platt drückte, dachte ich schon an die vielen Schnäppchen, die in diesem so spendablen, ja fast schon humanistischen Markt auf mich warten würden. All die Regale angefüllt mit herrlichen Produkten, mit wunderbarer Vielfalt von Technologie.
Die Menge um mich begann unruhig zu werden. Hektische Blicke wanderten umher. Ich konnte die Gier dieser Meute spüren. Ich wusste, das sie wollten was ich wollte und auch wenn ich selber noch nicht ganz wusste, was ich eigentlich wollte, war ich mir doch gewiss, dass ich es ihnen nicht kampflos überlassen würde.
Es war fast ein Aufschrei, der durch die Menge ging als die zwei Sicherheitsbeamten von innen die Türen aufsperrten. Wie eine Flutwelle brach der wilde Mob durch den Eingang hindurch, die Beamten mitschwemmend, gegen alle Seiten hin brandend und sich zur Rolltreppe hin ergießend.
Ich war ungefähr im vorderen Mittelfeld der Masse. Einige dieser Unholde hatten sich mit unglaublicher Dreistigkeit vorgedrängelt. Aber ich lag noch gut im Rennen und bahnte mir wieder energisch meinen Weg nach vorne. Mein Herz klopfte. Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn. Ich rannte im Strom. Vor mir stürzte ein Mann und fiel hart auf den Rolltreppenabsatz. Hastig sprang ich über ihn hinweg und kämpfte mich weiter.
Endlich betrat ich den Media Markt. Tief atmete ich die Luft der Umgebung ein, für einen Moment war ich orientierungslos. Was sollte ich kaufen?
Auf ein Mal sah ich durch das Gedränge hindurch, das riesige Bild der Playstation 2. In großen Lettern war darunter zu lesen: „This is living“ Ich war überzeugt.
Ich rannte. Wie von Sinnen. Wie in Trance. Im vorbeirennen rempelte ich eine dicke Frau um. Es war egal. Ich griff nach vorne. Ich hatte es. Es war ein unbeschreibliches Gefühl der Glückseeligkeit. Ich war befreit. Ich hatte etwas ergattert. Fast erhaben trat ich meinen Heimweg an. Meinen Weg durch die ewigen Schlangen an der Kasse, vorbei an den demolierten Diebstahlsicherungen, die kaputte Rolltreppe hinunter, vorbei an den zerbrochenen Scheiben, vorbei an den vielen Polizisten ins Freie.

Jetzt, einige Zeit später hat das Gefühl etwas nachgelassen. Eine Art Ernüchterung hat sich eingestellt und meine neue Playstation 3 ist eigentlich auch nicht viel besser als meine anderen zwei Konsolen. Irgendwie fühle ich mich wieder ein bisschen leer. Aber ein guter Freund hat mir erzählt, dass in nur ein paar Monaten, gleich hier um die Ecke ein neues Einkaufszentrum eröffnet werden soll.
Na dann ist ja alles gut.

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Donnerstag, 1. November 2007
Jung
Jung, klug, schön und stark stehen wir vor der Welt, unserer Welt. Eine neue Zeit bricht an, unsere Zeit bricht an und nichts wird mehr sein wie es war. Die Welt ist unser. –für’n Arsch!

Wir waren niemals jung. Wir sind alt geboren worden. Nicht schön sondern hässlich. Nicht stark sondern lethargisch. In unseren Augen war nur Leere.
Wir sind die neuste Ausgabe des Menschen. Krone der Evolution. Krone der geistigen Entwicklung. Wir haben alles was die Welt zu bieten hat. Und wir wissen alles. Wir kennen die Welt. Man hat uns die Verehrung für Wissen und Vernunft eingeimpft und man hat uns das Wissen zu Füßen gelegt. Man hat uns den Zweifel gegeben und man hat uns gelehrt nichts zu glauben. Wir können die Welt verstehen. Wir können sie erklären, auf physikalische, auf chemische, auf geologische, auf jede Art.
Wir können die Menschen verstehen. Wir können in ihre Köpfe sehen. Wir können ihre Psyche zerlegen.
Wir können die Gesellschaft verstehen. Was ist sie schon mehr, als ein paar soziologische Komponenten.
Wir sind das Ideal der Aufklärung. Und wir sind wie Tote.
Wir kennen die Geschichte. Wir standen neben den Scheiterhaufen, wir standen auf den Schlachtfeldern, wir haben mit den griechischen Philosophen diskutiert und triumphiert, wir haben Bibeln geschrieben und sie verbrannt, wir haben uns Heilige geschaffen und sie an Kreuze genagelt, wir haben Paläste gestürmt für die Gerechtigkeit, für die Freiheit, für das Manifest oder für unsern König, wir haben Kulturen ausgelöscht, wir haben Juden vergast, wir haben Schwarze gehängt, wir haben uns für Ala in die Luft gesprengt, und wir haben für die Menschlichkeit gefoltert. Aber das langweilt uns nur noch.
Wir wissen, dass unser Leben auf dem Leid anderer aufbaut. Wir wissen das alle drei Sekunden ein Kind an Armut stirbt und wir schnipsen dazu im Takt. Wir wissen das unsere Autos mit Blut getankt werden und wir wissen, das dieses erst vergossen werden muss. Wir können das alles life im Internet anschauen und wir tun es auch. Aber es ist uns egal, weil wir schon lange resigniert haben.
Wir sitzen in unseren Schlössern und wir sind müde. Wir hassen das Klischee aber wir sind dazu verdammt eines zu sein. Die Zukunft erfüllt uns mit Gleichgültigkeit. Wir hassen es unbedeutend zu sein, doch jeder Versuch zur Nohnkonformität schlägt sofort ins Gegenteil um. Wir werden zur Parodie auf uns selbst. Müssten wir uns selbst einen Namen geben, hießen wir wohl die H&M-Generation, ob unserer eigenen Belanglosigkeit. Über die Selbstironie würden wir dann zynisch lachen. Die einzige Art von Lachen die wir noch beherrschen. Weinen wäre uns lieber aber das können wir schon lange nicht mehr.
Wir würden gerne staunen aber da gibt es nichts mehr. Der Sonnenuntergang zeigt uns nur noch unsere Luftverschmutzung und die Bewunderung des Sternenhimmels fühlt sich so pathetisch und kitschig an, dass es körperliche Schmerzen bereitet.
Gott ist tot. Der Kommunismus ist tot. Der Humanismus ist tot. Der Idealismus ist tot. Der Individualismus ist tot. Eine bessere Welt ist tot. Die Illusion ist tot.
Das Kind in uns war eine Todgeburt. Wir wollen nicht die sein, die wir sind. Wir vegetieren in einem Gefühlskalten Nihilismus. Wir wollen unseren Glauben wieder, wir wollen unser Opium. Wir wollen unsere Unschuld wieder.
Denn Unschuld ist nicht das Freisein von Sünde und Unmoral. Dummheit ist Unschuld.

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